Obwohl inzwischen
Rentner, arbeite ich nach wie vor in meinem Beruf - von Haus aus Agrarwissenschaftler
war ich seit jeher tätig als Marketingexperte für biologische
Lebensmittel. Während der letzten Jahre war ich am Aufbau neuer Vertriebswege
für derartige Produkte im Kölner Raum beteiligt. Es mag ein wenig
unbescheiden klingen, aber in diesem Feld gehöre ich sicherlich zu
den Zeitzeugen eines Prozesses, der in enthusiastischer Weise mit Experimenten
in den siebziger Jahren begann, der eine Phase der Professionalisierung
folgte und der letztendlich zur
Schaffung gänzlich
neuer Strukturen in den letzten Dekaden führte.
Ich entsinne
mich dabei noch recht gut an das Gefühl der Enttäuschung,
welches zur Jahrhundertwende empfand. Sicher, das Präfix "bio" hatte
zu dieser Zeit seinen Platz erobert und das entsprechende "Marktsegment"
wies durchaus akzeptable Zuwachsraten aus. Aber mir war dabei sehr bewusst,
dass diese Nische auch eine Art Entschuldigung für eine Entwicklung
in der konventionellen Lebensmittelindustrie bot, die desaströse Folgen
nach sich ziehen würde. Und die Nische selbst? Nun, die "Bio-" Zertifikate,
die wir erarbeitet hatten, waren kein Betrug. Insgesamt jedoch war der
Produktionsprozess keineswegs in Einklang mit ökologischen Prinzipien:
die Konsumstrukturen der damaligen Zeit zwangen uns zu sogenannten "Convenience
Produkten", verpackt in Materialien, die von meinen Kollegen mit dem Euphemismus
"Kompromiss" belegt wurden. bei Einbeziehung aller Komponenten wie Verpackung
und Transport wäre die Ökobilanz keineswegs positiv ausgefallen.
Heute würde ich zugeben, dass gerade wir Aktivisten der ersten Stunde,
die ihr Engagement professionalisiert und damit zur Lebensgrundlage gemacht
hatten, verantwortlich für das Auslaufen der ersten Welle der ökologischen
Bewegung waren.
Nur die veränderten
Wirtschaftsbedingungen der letzten fünfundzwanzig Jahre erlaubten
es uns, eine naturgerechte Lebensmittelproduktion zu schaffen, die diesen
Namen wirklich verdient. Es ist die Nachfragestruktur auf regionaler Ebene,
welche die Innovationen in diesem Feld vorantreibt, eine Entwicklung,
die sicherlich noch nicht zu einem Ende gekommen ist.
Vor meiner Lektüre
von S. Flors "Flatlander" hätte ich den letzten Satz als gute Konklusion
betrachtet. Aber diese kurze "Botschaft" erinnerte mich daran, dass Fortschritt
nicht etwas ist, was sich immer weiter und weiter auf denselben Gleisen
bewegt; wir müssen unsere Bereitschaft zum Sprung auf die andere Ebene
erhalten!
©
Sven Guentler, Köln
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